Pflegende Angehörige in Not wg. prekärer ambulanter Pflegeversorgung
Mehrere Familien mit schwerstpflegebedürftigen und behinderten Personen sind in letzter Zeit in eine existenzielle Notlage geraten, weil ambulante Pflegedienste kurzfristig gekündigt haben. Gründe hierfür waren lange Anfahrtszeiten zum Einsatzort, Personalmangel und wirtschaftliche Schwierigkeiten. So ist es einer Familie mit einem schwerstbehinderten Sohn nach Schädelhirntrauma und zwei weiteren Betroffenen mit ambulantem Intensivpflegebedarf mit Beatmung wegen ALS und Querschnittlähmung ergangen. Über 40 ambulante Pflegedienste, die regionalen Pflegestützpunkte, die Pflegeversicherung und der Landrat wussten keine Abhilfe. Eine Verlegung in ein Pflegeheim kam wegen Platznot und höherer finanzieller Eigenbeteiligung nicht in Frage. Die Betroffenen wurden in ihrer Notsituation alleingelassen. Pflegende Angehörige und in Not geratene Familien können sich neuerdings zwar beim Landespflege- und Landesbehindertenbeauftragten beschweren. Oft aber stehen sie mit dem Rücken an der Wand, haben keine Kraft mehr und sind deshalb auf rasche Hilfe und tatkräftige Unterstützung angewiesen.
Wie kann das angehen? Ist häuslich-ambulante Pflege zum „Privatvergnügen“ mit hohen existenziellen Risiken geworden?
Zu diesen Fragen hat auf Initiative des Vereins Neuro-Netzwerk Weser-Ems e.V. am 16. Februar ein Erfahrungsaustausch mit Fachdiensten und Pflegestützpunkten des Landkreises Friesland und der Stadt Oldenburg stattgefunden. Zuständigkeiten und Aufgaben konnten rasch geklärt und nach Lösungsmöglichkeiten gesucht werden. Während ambulante Pflegedienste für die Durchführung der pflegerischen Leistungen verantwortlich sind, tragen Pflegekassen die Verantwortung für Verträge mit genügend ambulanten Pflegediensten. Für die Sicherstellung der pflegerischen Gesamtversorgung als Teil der Daseinsvorsorge sind gesetzlich Länder, Kommunen, Pflegestützpunkte, Pflegedienste, Pflegeeinrichtungen, Pflegekassen und Medizinischer Dienst gemeinsam verantwortlich. Gemeinsam sind sie auch zum Ausbau entsprechender Strukturen und zur Zusammenarbeit verpflichtet.
Hier besteht nach vielen Berichten von Betroffenen ein hoher Handlungsbedarf!
Pflegestützpunkte könnten mit einem Springerpool aus ehemaligen und ehrenamtlichen Pflegekräften schnell Abhilfe schaffen. Springerpools wurden jedoch vor Jahren aus Kostengründen eingestellt und sind beim heutigen Pflegfachkräftemangel kaum zu realisieren. Innovative Strukturen können vom Land gefördert werden. Die Umsetzung weiterer Lösungsmöglichkeiten hängt vom Engagement der beteiligten Akteure ab und bleibt vorerst offen. Fest steht: Über eine gute Verwaltung hinaus geht es darum, konkrete Abhilfe für die Notlage der Betroffenen zu schaffen. Das Neuro-Netzwerk Weser-Ems wird dies im Auge behalten und behält sich dazu weitere Schritte vor.
Prof. Dr. Andreas Zieger, Vorsitzender
Oldenburg, den 17.02.2022
Anlage: Auszug aus SGB XI wegen prekärer häuslicher Pflegesituation (PDF, 110 KB)